Auswirkungen und Evaluierung des Gesetzes zur Änderung der Arbeitnehmerüberlassung
Seit April 2017 ist die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) in Kraft. Die Neuregelungen, die im Kern auf die missbräuchliche Nutzung gerichtet waren, haben auch für die legale Zeitarbeit zu neuen bürokratischen Hürden geführt, beispielsweise bei der neu eingeführten Bezeichnungs- und Konkretisierungspflicht (§ 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 AÜG). Hier drohen nunmehr auch bei nur geringen formalen Fehlern und Ungenauigkeiten, wie einer versehentlichen
Falschbezeichnung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages, empfindliche Bußgelder. Der Gesetzgeber hat es zudem unterlassen, die rechtsverbindliche Form der Konkretisierung zu bestimmen, so dass in der Praxis unklar ist, ob die Konkretisierung die Schriftform erfordert (§ 126 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB, z. B. eigenhändige Unterschrift) oder aber die Textform gemäß § 126b BGB ausreichend ist, die auch die elektronische Kommunikation z. B. durch
E-Mail mit umfasst. Die hierzu veröffentlichten missverständlichen Aussagen der Bundesagentur für Arbeit in der Fachlichen Weisung zum AÜG haben diese Rechtsunsicherheit noch vergrößert (vgl. S. 20, https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/FW-AUeG_ba016586.pdf). Offen ist auch, ob
die neu eingeführten Bürokratiepflichten auch für Altverträge gelten – eine solche Rückwirkung des Gesetzes wird von der Bundesagentur für Arbeit ohne weitere Begründung vertreten (vgl. die oben zitierte Fachliche Weisung, S. 20 f.). Erste
arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hält eine solche Rückwirkung für verfassungsrechtlich bedenklich (Arbeitsgericht Mainz, Urteil vom 28. Juni 2018 –3 Ca 111/18). Auch hier hat die handwerklich schlechte Ausgestaltung der Neuregelung zu enormer Rechtsunsicherheit bei Ver- und Entleihern geführt. Besondere Probleme verursacht zudem die neu eingeführte gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten (§ 1 Absatz 1b Satz 1 AÜG). Hier hat es der Gesetzgeber nach Auffassung der Fragesteller bereits formal unterlassen, eine rechtssichere Regelung zu schaffen. Unklar blieb etwa, wie die 18-monatige Frist überhaupt zu berechnen ist, d. h. ob nach der kalendarischen Berechnungsweise (§§ 187 Absatz 1, 188 BGB) oder aber nach der kaufmännischen Berechnungsweise (§ 191 BGB). Auch inhaltlich verfehlt die Regelung ihr eigentliches Ziel, die Übernahmechancen von Zeitarbeitnehmern zu verbessern – das Gegenteil ist der Fall. Wenn Zeitarbeitnehmer und Kundenbetrieb mit dem Einsatz zufrieden sind, muss der Zeitarbeitnehmer gegebenenfalls mitten in einem Auftrag das Einsatzunternehmen mit Ablauf der Frist zwangsweise verlassen. Die Annahme, durch eine Überlassungshöchstdauer könnten Anreize zur Übernahme geschaffen werden, ist in der Praxis kaum belegt. Zeitarbeit wird von den Kundenbetrieben in den allermeisten Fällen gerade als dringend benötigter Flexibilitätspuffer oder
zur Überbrückung von Auftragsspitzen eingesetzt. Insbesondere bei unsicherer Auftragslage und der sich derzeit eintrübenden Wirtschaftslage kann das Gros der Betriebe eine Übernahme in die Stammbeschäftigung gerade nicht verantworten, weshalb die Überlassungshöchstdauer gut funktionierende Einsätze künstlich kappt. Die Fristen treffen somit vor allem die Zeitarbeitnehmer selbst und erschweren es, dass ein gut eingearbeiteter Zeitarbeitnehmer im Einsatzbetrieb längerfristig Fuß fasst – was dessen Übernahmechancen langfristig zunichtemacht. Stattdessen muss sich die Zeitarbeitskraft in einem anderen Einsatzunternehmen neu einarbeiten, während finanziell attraktive Einsätze abgebrochen werden, bei denen aufgrund der längeren Überlassungsdauer besonders hohe Branchenzuschläge fällig sind (tarifliches Equal Pay). Die Ansprüche bei dem neuen Einsatzbetrieb fallen im Regelfall hinter den bisherigen Standard deutlich zurück. Besonders hart werden auch hochqualifizierte Zeitarbeitnehmer getroffen, deren Einarbeitung wegen der Komplexität des Auftrags besonders lang ist und die dadurch häufiger projektgebundene Arbeiten übernehmen, die im Regelfall mehr als 18 Monate dauern. Zugleich wurden nach Auffassung der Fragesteller mit der gesetzlichen Regelung auch Pflege- oder Elternzeitvertretungen, die die Überlassungsfrist überschreiten, massiv erschwert. Die Änderungen haben insgesamt zu Verunsicherung und Rechtsunsicherheit bei Zeitarbeitsunternehmen und ihren Kunden geführt. Nach § 20 AÜG ist die Anwendung des Gesetzes und vor allem auch der genannten Reformen im Jahr 2020 zu evaluieren. Im Rahmen dieses Evaluierungsprozesses besteht auch die Möglichkeit, eingetretene Fehlwirkungen objektiv und unter Hinzunahme der betroffenen Akteure in der Zeitarbeitsbranche zu beleuchten und Abhilfe zu schaffen. Durch zielgenaue Re- bzw. Deregulierungen lassen sich Anreize schaffen, die sich positiv auf die eigentliche Zielrichtung der Branche auswirken, nämlich ihre Funktion als wichtiges Flexibilisierungsinstrument für Entleiher bei unsicheren Auftragslagen sowie als Einstieg in eine dauerhafte Beschäftigung für Arbeitnehmer. Zeitarbeit ist nachweislich eine besonders effektive Brücke in den Arbeitsmarkt für (Langzeit-)Arbeitslose, Geringqualifizierte, ausländische Arbeitnehmer und Geflüchtete (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Januar 2019, https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Branchen/generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-DeutschlandZeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf).
Kleine Anfrage (Drucksache 19/11214, vom 27.06.2019)

Wir fragen die Bundesregierung:

1.  Wie, und woran bemisst die Bundesregierung derzeit grundsätzlich den Erfolg der Änderungen im AÜG im Jahr 2017, auch vor dem Hintergrund der in der Vorbemerkung der Fragesteller dargestellten Rechtsunsicherheiten, die durch die Neuregelungen eingetreten sind?
a) Geht die Bundesregierung davon aus, dass Verträge, die legale Arbeitnehmerüberlassung zum Inhalt haben und etwa als „Vertrag über Personalgestellung“ oder ähnlich bezeichnet worden sind, nach der Einführung der sog. Bezeichnungspflicht in § 1 Absatz 1 Satz 5 AÜG unwirksam bzw. bußgeldbewährt sind, wonach der Einsatz von Zeitarbeitnehmern „ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen“ ist?
Gibt es Erkenntnisse über die Anzahl der Sanktionen, die in diesem Zusammenhang bisher verhängt wurden (falls ja, bitte detailliert anführen)?
b) Welche Anforderungen müssen Zeitarbeitsunternehmen und deren Kunden nach Auffassung der Bundesregierung derzeit erfüllen, um die Konkretisierungspflicht nach § 1 Absatz 1 Satz 6 AÜG rechtssicher zu erfüllen, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die von der Bundesagentur auf Seite 20 ihrer Fachlichen Weisung geäußerte
Rechtsauffassung, dass bei Einzelüberlassungsverträgen die Konkretisierung in Schriftform (§ 126 BGB) erfolgen muss und bei Rahmenverträgen die Konkretisierung in Textform (§ 126b BGB) ausreichend ist?
Wie erklärt die Bundesregierung diese Differenzierung, obwohl hierzu keine Regelung im AÜG getroffen wurde?
Wie verträgt sich ein Schriftformerfordernis nach § 126 BGB mit dem Umstand, dass Einsätze in der Zeitarbeitsbranche oftmals kurzfristig erfolgen und die Wahrung der Schriftform die eigenhändige Unterschrift und den Zugang der unterzeichneten Erklärung beim Vertragspartner voraussetzt?
c) Plant die Bundesregierung, die Rechtsunsicherheit bei der Durchführung
der Konkretisierung nach § 1 Absatz 1 Satz 6 AÜG durch eine klarstellende Gesetzesänderung zu beseitigen?
Falls ja, mit welchen Vorgaben bezüglich der Form? Falls nein, warum nicht?
d) War es Absicht der Bundesregierung, im Rahmen der Pflicht zur Bezeichnung und Konkretisierung nach § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 AÜG auch Altverträge uneingeschränkt zu erfassen, die vor dem 1. April 2017 geschlossen wurden, so wie es die für die Ausführung des Gesetzes zuständige Bundesagentur für Arbeit auf Seite 20 ihrer Fachlichen Weisung vom 20. März 2017 vertritt?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundesagentur für Arbeit? Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28. Juni 2018 (Az. 3 Ca 111/18), das für
Recht erkannt hat, dass das Gesetz zur Änderung des AÜG explizit keine Rückwirkung zulasse und eine solche auch verfassungsrechtlich bedenklich sei?
e) Ist der Bundesregierung bekannt, in wie vielen Fällen es aufgrund einer Nichtbeachtung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer zu der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher nach § 9 Absatz 1 Nummer 1b i. V. m. § 10 Absatz 1 AÜG kam?
f) Ist der Bundesregierung bekannt, in wie vielen Fällen Zeitarbeitnehmer aufgrund eines drohenden Ablaufs der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer vom Entleiher in ein Arbeitsverhältnis übernommen oder aber an den Verleiher zurückgeschickt wurden?
Wie hat sich die Zahl der Übernahmen aus der Zeitarbeit in ein Arbeitsverhältnis bei den Entleihern seit dem Inkrafttreten der AÜG-Reform im April 2017 verändert?
2. Gibt es für die Evaluation von Gesetzen einen festen, etablierten Prozess? Wenn ja, wie sieht dieser Prozess aus?
3. Wenn es bisher keine festen Prozessabläufe für die Evaluation von Gesetzen gibt, wann und von welcher Institution könnte zukünftig ein solcher Evaluationsprozess festgelegt werden?
4. Wie stellt die Bundesregierung unter den derzeitigen Gegebenheiten sicher, dass der Deutsche Bundestag rechtzeitig in die Prozesse der Gesetzesevaluierung eingebunden und umfassend über den Fortgang und die Ergebnisse solcher Prozesse informiert wird?
5. In welcher Form plant die Bundesregierung die Durchführung der Evaluation des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 2020?
a) Wie sieht die Zeitplanung für den Evaluationsprozess aus?
b) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits in Hinblick auf die Evaluation des AÜG in die Wege geleitet?
c) Werden bei der Evaluation nur die Auswirkungen der Gesetzesänderungen aus dem Jahr 2017 oder auch die Anwendung des gesamten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes untersucht?
d) Ist bereits bekannt, anhand welcher Kriterien und Fragestellungen die
Evaluation erfolgen soll? Wird auch der durch die AÜG-Reform im Jahr 2017 entstandene administrative und zeitliche Mehraufwand für entleihende Unternehmen sowie deren Kunden untersucht? Falls ja, auf welcher Basis findet bzw. fand das statt (bitte im Detail aufführen)?
e) Wird die Evaluation mithilfe externer Institutionen durchgeführt? Falls ja, sind diese bereits bestimmt?
f) Nach welchen Kriterien erfolgte bzw. erfolgt die Auswahl der beteiligten Institutionen?
g) Wird ggf. eine öffentliche Ausschreibung für die Auftragsvergabe an externe Institutionen durchgeführt?
h) Inwieweit werden weitere externe Institutionen (z. B. Bundesagentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt, Zoll, Verwaltungsberufsgenossenschaft), die regelmäßig Daten über die Zeitarbeit erheben, mit in den Evaluationsprozess eingebunden?
i) Wie stellt die Bundesregierung die Beteiligung des Deutschen Bundestages an der Planung und Durchführung der Evaluation und insbesondere an der Interpretation und Bewertung der Ergebnisse sicher?
j) Wie stellt die Bundesregierung darüber hinaus sicher, dass die vom Gesetz betroffenen Akteure (Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer; Kundenunternehmen; Zeitarbeitsunternehmen) ihre Erfahrungen mit in
den Prozess einbringen können?
k) Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Daten zur Evaluation des AÜG repräsentativ und valide sind?
l) Wie hoch ist das Budget, das die Bundesregierung für die AÜG-Evaluation vorgesehen hat?
m) In welcher Form plant die Bundesregierung die Veröffentlichung der Ergebnisse der AÜG-Evaluation?
n) Wann soll die Evaluation abgeschlossen sein?
o) Wann sollen die Ergebnisse der Evaluation veröffentlicht werden?
p) In welcher Form sollen die Ergebnisse der Evaluation veröffentlicht werden?
q) Ist geplant, auch die Methodik und die Daten der Evaluation zu veröffentlichen? Wenn nein, warum nicht?
r) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Ergebnisse der AÜGEvaluation zeitnah veröffentlicht werden und sich keine Vorkommnisse wie bei der Studie „Arbeitsqualität in Zeitarbeitsverhältnissen“ des
Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/fb486-arbeitsqualitaetin-zeitarbeitsverhaeltnissen.html) zutragen, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Auftrag gegeben, aber bis Ende Juni 2017 zurückgehalten hatte, bis das Gesetzgebungsverfahren zum AÜG abgeschlossen war, obwohl die Autoren der Studie diese bereits im März 2015 dem Bundesministerium überreicht und explizit festgehalten hatten,
dass ihre Ergebnisse „unter Umständen von Relevanz für die aktuelle politische Diskussion bezüglich der Einführung einer Überlassungshöchstdauer“ (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung/Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik: „Arbeitsqualität in Zeitarbeitsverhältnissen“ – Abschlussbericht – Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, S. 155) sein könnten?
6. Sind innerhalb der Bundesministerien Zeitarbeitnehmer im Einsatz, auf die das AÜG Anwendung findet (bitte nach Anzahl und Bundesministerien aufschlüsseln)?
7. Gab es innerhalb der Bundesministerien Zeitarbeitnehmer, die aufgrund der AÜG-Reform aus dem Jahr 2017 nicht mehr beschäftigt werden durften oder konnten (etwa durch Ablauf der Überlassungshöchstdauer)? Falls ja, welche Gründe waren dafür verantwortlich?

Hier sind die Originalschriftstücke zum Download

Anfrage-1911214-Arbeitnehmerüberlassung

Antwort-1911214-Arbeitnehmerüberlassung