Heute am “Equal Pay Day” sprechen wir über einen sperrigen Begriff, den “Gender Pay Gap” – die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern. Wir sprechen über nüchterne Zahlen: 19 Prozent verdienen Frauen absolut weniger als Männer. Die bereinigte Lücke beträgt ungefähr 6 Prozent. Letzteres heißt, dass Frauen noch immer bei gleicher Qualifikation, gleicher Anstellung und gleicher Erwerbsbiografie weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Die Zahlen und Begriffe vermögen nicht auszudrücken, was dahinter steht. Der eigene Lohn, das eigene Einkommen bedeutet die eigene Unabhängigkeit und die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Für tatsächliche Unabhängigkeit ist finanzielle Autonomie unverzichtbar.
Zwar findet in diesem Jahr der Equal Pay Day eine ganze Woche früher als noch im vergangenen Jahr statt. Denn die unbereinigte Lohnlücke in Deutschland zwischen Männern und Frauen ist erstmals unter 20 Prozent gesunken. Diese positive Momentaufnahme wird jedoch von den Auswirkungen der Corona-Krise gedämpft. Denn Frauen sind insgesamt stärker von den ökonomischen Effekten der Corona-Pandemie betroffen. Sie sind überrepräsentiert im Niedriglohnsektor und Minijobverhältnissen, die keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben und überproportional in den letzten Monaten gekündigt wurden.
Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit. Sie leisten, vor allem wenn sie kleine Kinder haben, unbezahlt mehr Care-Arbeit als Männer. Dies hat sich während der Krise noch verstärkt. Bei verheirateten Paaren sorgen beispielsweise die Steuerklassen III und V für negative Fehlanreize.
Im Ergebnis verdienen Frauen durchschnittlich im Laufe ihres Erwerbslebens nur halb so viel wie Männer. Das Risiko der Altersarmut ist dafür umso höher. Der sogenannte Gender Pension Gap, die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern, liegt hierzulande bei über 50 Prozent. Kein OECD-Staat weist eine höhere Diskrepanz zwischen dem Renteneinkommen von Männern und Frauen auf.
Der Gender Pay Gap berücksichtigt zwar nicht die individuellen Lebensentscheidungen, Branchen oder Qualifikationen von Beschäftigten. Allerdings offenbart er beim genaueren Hinsehen strukturelle Barrieren, die nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit und Aufstiegschancen von Frauen haben. Politik muss dafür sorgen, dass diese Barrieren aus dem Weg geräumt werden, damit jeder Mensch selbstbestimmt den ganz eigenen Weg gehen kann. Was ist zu tun?
Noch immer ziehen viel mehr Jungen und Männer eine berufliche Zukunft im Bereich MINT (Mathe Informatik, Naturwissenschaft Technik) für sich in Betracht als Mädchen und Frauen – oft aufgrund traditioneller Rollenbilder. Damit entgehen ihnen nicht nur eigene Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch gute und zukunftsfähige Verdienste. Schon in der frühkindlichen Bildung bedarf es deshalb bundesweiter Bildungsstandards und Lerngrundlagen, die Kindern aller Geschlechter die Möglichkeit geben, sich im MINT Bereich zu entwickeln. Vor Ort in den Bundesländern brauchen brauchen wir Pädagoginnen und Pädagogen für forschendes und experimentelles Lernen in allen Kitas. In Schulen brauchen wir ein Update der Berufsorientierung. Wir setzen auf Role-Models. Junge Azubi-Botschafterinnen und Botschafter können für MINT-Berufe, aber auch für eine berufliche Ausbildung werben. Kontakte zwischen Hochschulen und Schulen sind auszubauen, um gezielt auch Mädchen für Studiengänge wie z.B. Informatik anzusprechen.
Statt eines bürokratischen Entgelttransparenzgesetz mit realitätsfremden Klagemöglichkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, brauchen wir einfache und wirksame Instrument. Nach dem Vorbild von Großbritannien möchten wir, dass größere Unternehmen ihren eigenen Gender Pay Gap regelmäßig veröffentlichen. Wir sind uns sicher, dass Unternehmen, wenn sie sich einmal selber ausrechnen, ob es ein Lohngefälle gibt, dann auch Maßnahmen zur Verringerung ergreifen. Die öffentliche Verwaltung auf Bundes- und auf Länderebene muss Vorbild sein. Auch sie soll jeweils ihren eigenen Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen regelmäßig veröffentlichen und Maßnahmen zur Verbesserung ergreifen.
Wir müssen Familien endlich eine selbstbestimmte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Dazu gehören die Abschaffung der Steuerklassen III und V, sowie der Ausbau und die Flexibilisierung des Elterngeldes und die Gewährleistung von Betreuungsangeboten. Die Öffnungszeiten von KiTas und die Betreuungszeiten in Schulen ist an den Berufsalltag der Eltern anzupassen. Gleichzeitig muss endlich mit Hilfe einer Reform des Arbeitszeitgesetzes eine flexible Einteilung der Arbeitszeit (z.B. als Wochenarbeitszeit) möglich werden. Wir sind uns sicher, dass es mit Hilfe dieser Maßnahmen mehr Frauen, aber auch Männer möglich sein wird, sich ihren Wunsch, mehr als Teilzeit zu arbeiten, zu erfüllen.
Um die Altersarmut von Frauen zu bekämpfen, möchten wir das Rentensplitting zugänglicher und stärker bekannt machen. Es muss jederzeit möglich sein, auch für befristete Zeiträume, Rentenpunkte zu splitten. Das Rentensplitting soll nicht nur zwischen Ehe- sowie Lebenspartnern, sondern auch zwischen unverheirateten Eltern möglich sein. Mit Rentensplitting sind zum Beispiel beide Ehepartner hinsichtlich ihrer Altersvorsorge so aufgestellt, als hätten sie in dem jeweiligen Zeitraum gleich hohe Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben.
Für echte Selbstbestimmung braucht es finanzielle Eigenständigkeit für Frauen und Männer gleichermaßen. Deshalb ist der Gender Pay Gap mehr als ein kompliziertes Wort. Er muss bekämpft werden, um allen zu ermöglichen, Entscheidungen fürs Leben wirklich frei zu treffen. Und so ist der Equal Pay Day ein besonderer Tag, der uns hieran erinnert und uns ermuntert, die Lohnlücke zu schließen.