100 Tage – diese Frist gesteht eine journalistische Faustregel einem neuen (politischen) Amtsinhaber oder einer neuen Regierung zu, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Für Nicole Bauer, die über die Bayernliste der FDP in den Bundestag gerutscht ist, ist diese Frist schon länger abgelaufen. Die politische Newcomerin an Erfolgen zu messen, scheint aber selbst nach bereits verstrichenen 165 Tagen unfair. Denn die geplatzten Jamaika-Sondierungen und das schwarz-rote GroKo-Geziehe machten der gebürtigen Veldenerin den Start in Berlin nicht leichter.
Dennoch sagt Bauer: „Ich bin gut in Berlin angekommen – politisch und auch persönlich.“ Politisch trotz der Querelen in den vergangenen Monaten schon etwas mehr als persönlich. Denn die 30-Jährige wohnt noch im Hotel – und das wird auch noch einige Zeit so bleiben. „Ich habe mich auf dem Wohnungsmarkt noch gar nicht umgesehen. Das ist mir gerade nicht so wichtig. Ich verbringe die meiste Zeit im Plenum, bei Veranstaltungen, im Büro oder bei Gesprächen. In meinem Berliner Zuhause bin ich kaum – da tut’s das Hotel vorerst auch.“ Im August wolle sie sich „dann langsam um eine eigene Bleibe kümmern.“
Politisch ist die Veldenerin einige Schritte weiter – trotz der „Unsicherheit durch die geplatzten Sondierungsgespräche und eine drohende Neuwahl“. Dabei stehe sie zwar „komplett hinter der Entscheidung von Christian Lindner, nur der Zeitpunkt war unglücklich. Man hätte nicht so lange verhandeln sollen, den Schlussstrich früher ziehen können“, sagt sie. So lange hat Bauer sich mit ihren Entscheidungen nicht Zeit gelassen. Das Abgeordnetenbüro in Berlin ist bezogen, die Anlaufstelle im Wahlkreis seit Dezember eröffnet, ein Mitarbeiterteam zusammengestellt.
Aber nicht nur mit der infrastrukturellen Situation ist Bauer „sehr zufrieden“ – auch im Bundestag hat sie sich schon gut eingelebt, ihre Erstlingsrede schon hinter sich: Zum Thema Weltfrauentag. „Ich war schon sehr nervös, im Herzen der deutschen Demokratie sprechen zu dürfen“, sagt sie. „Es lief aber alles gut. Einen vermeintlichen Verhaspler hat sie sich zu Nutzen gemacht: „Ich habe das Plenum mal umgekehrt mit ,sehr geehrte Herren und Damen’ angesprochen – das hat alle aufgeweckt“, sagt Bauer.
Auch mit ihren Posten im politischen Alltag kann sie „mehr als gut leben“. Bauer ist Ordentliches Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dazu ist sie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. „Als frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion und Berichterstatterin im Wirtschaftsausschuss kann ich ein breites Themenspektrum abdecken“. Gerade vor Bauers beruflichem und persönlichem Hintergrund – sie ist Wirtschaftsingenieurin und kommt aus der Landwirtschaft sei das „eine Kombination, die wunderbar passt“.
Ihre Herkunft – die teilt sie übrigens mit dem anderen Abgeordneten des Wahlkreises, Florian Oßner, der ebenfalls aus Velden stammt – soll sich auch in ihrer politischen Agenda widerspiegeln: „Ich will mich für die Entwicklung des ländlichen Raumes einsetzen. Dort komme ich her, kenne die Gegebenheiten und glaube, dass dort die Zukunft für ein erfolgreiches Deutschland liegt. Es geht darum, dort mit Digitalisierung, Mobilfunkausbau, Breitband und der Ertüchtigung von Verkehrswegen und -netzen verstärkt einzugreifen. Die Landflucht wird immer mehr abnehmen – schon alleine deswegen, weil Wohnraum in den Ballungszentren nicht mehr erschwinglich ist.“ Deshalb wolle sie „auch so viel wie möglich in Niederbayern unterwegs sein, mir Meinungen vor Ort abholen.“
Ihre Ideen hätte sie „natürlich gerne in einer Regierung eingebracht. Denn als Teil solcher wäre es bedeutend leichter gewesen, Vorhaben umzusetzen. In der Opposition bleibt mir nun nur die Rolle, Akzente zu setzen und aufzuzeigen, wie es besser geht“, sagt die 30-Jährige. Ihre Hoffnungen setzt sie nun in die Ausschussarbeit. Dort wolle sie „sachlich arbeiten und etwas für die Menschen tun. Die Politik muss wieder näher an die Basis ran“, sagt Bauer.
Dabei brauche sie aber nach eigener Aussage – vor allem eines: Geduld. „Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, dass die Uhren in Berlin etwas langsamer gehen. Dass die Demokratie eine mitunter langwierige und anstrengende Form der Staatsführung ist, war mir ja klar, aber dass diese Mühlen so langsam mahlen, das hat mich schon überrascht. Ich bin das aus meinem Beruf ganz anders gewohnt“, sagt Bauer.
Die Ressource Zeit sei eine ihrer größten Herausforderungen: Die Arbeit als Abgeordnete in der Hauptstadt und Niederbayern, das Pendeln zwischen Velden und Berlin – da bleibt oft nur wenig Zeit für Privates. „Ich blocke in meinem Kalender komplette Tage für meine Familie und Freunde – ein Vermischen mit der Arbeit funktioniert nicht, das habe ich schnell gemerkt. Diese Trennung erlaubt es mir einerseits ohne schlechtes Gewissen bis spät in die Nacht zu arbeiten und andererseits völlig unbelastet meine Freizeit zu genießen.“
(Quelle: Mittelbayerische Zeitung, 13.03.2018)